Als ich eines Abends die Tränen nicht mehr halten konnten und sie ungehindert die Sorgen meine Wangen herunterlaufen ließen, sprach mein Mann aus, wonach meine stark sein wollende Seele sich eigentlich sehnte: „Vielleicht könntest du einfach etwas früher nach Deutschland fliegen? Mach doch eine Pause, genieße die gute medizinische Versorgung und das Essen, von dem du mir Tag und Nacht erzählst. Was hindert dich?“

„Es fühlt sich nach Aufgeben an!“ platze es aus mir heraus. Aber manchmal ist Aufgeben und sich etwas Gutem hingeben vielleicht das Beste, was ich für mich und mein Baby tun kann? Ich musste mich fragen, wem ich eigentlich etwas beweisen wollte und stellte fest, dass ich da an eigenen Ansprüchen verzweifelte, die ehrlich gesagt vollkommen sinnfrei waren. 

Also buchten wir den Flug für mich und meine drei Kinder. Und so sehr ich mir den Tag des Abflugs – und den Lachs und die Butter, Sahne, Quark und den Käse – herbeisehnte, so sehr begann ich auch zu merken, was und wer (!) mir alles fehlen würde. Ich bin für jetzt in Äthiopien zu Hause und ich bin es gern. Mein Sohn verbrachte den Abflugtag damit im Stundentakt darüber zu weinen, was er alles vermissen würde und dann im nächsten Moment darüber zu schwärmen, wie sehr er sich auf Deutschland freue. Und während ich ihn hielt und er alles rauslassen konnte und mich gleich darauf wieder mit ihm freute, war ich froh, dass hier einer von uns die Karten offen auf den Tisch legte. Denn so wie ihm ging es uns wohl eigentlich allen.

Mitten in der Nacht machten wir uns dann auf den Weg zum Flughafen. Mir fielen so viele hässliche und unschöne Dinge an meiner Metropole Addis auf – doch ich sah sie irgendwie mit einem milden Lächeln, mit ein bisschen Humor und irgendwie mit einer Liebe an. Und verabschiedete mich.

Vier Monate Deutschland begannen für uns diese Woche in Frankfurt. Die Kinder hatten den nächtlichen Flug so wunderbar gemeistert und ich hätte vor Erleichterung und Stolz auf uns alle platzen können. Wäre da nicht eine Stunde Verspätung gewesen und ein Anschlussflug dessen Boarding 30min nach Ankunft meines ersten Fluges schloß. Und die (ungelogen) zwölf Personen die ich mit zunehmender Verzweiflung und am Ende zwei weinenden Kindern und selbst Tränen in den Augen bat mir doch bitte irgendwie zu helfen zu meinem Gate zu kommen. Ich hörte mir Antworten wie „Die einzige die ihnen jetzt helfen wird sind sie selbst.“ oder „Na dann gehen sie doch jetzt einfach mal dort hinunter zum Gate.“ an und in mir stieg Verzweiflung auf. Aber nicht nur über den Flug den ich eventuell verpassen würde, sondern darüber, dass mich das so unerwartet tief traf. Denn da war eine Traurigkeit, Wut und Scham die weit über diese Situation hinaus ging. Ich schämte mich für meine Leute, mein Deutschland, meine Heimat. Ich stellte mir ausländische Mütter in der gleichen Situation vor und wusste wie man ihnen, in ihren Heimatländern in denen eine Mutter zu sein noch ein Grund ist mit Respekt behandelt zu werden, zur Seite stehen würde. Doch hier erntete ich noch mehr als nur die verletzenden Worte. Ich sah auch die Blicke. Und man sah mich und schien sich zu denken: „Selbst schuld. Wer macht denn sowas Dummes und fliegt schwanger mit zwei Kindern? Und dann ist sie auch noch zu spät dran. Selber Schuld.“ So scheint man hierzulande oft sein Gewissen zu beruhigen und sich nicht mit den Herausforderungen anderer zu identifizieren oder in ihnen irgendeinen Appell zur eigenen emphatischen Handlung zu sehen. Dabei geht es glaube ich nicht nur um eine verrückte Mutter die verzweifelt zwei Kinder durch den Frankfurter Flughafen schleift. Hat man erstmal eine gute Erklärung warum die Obdachlosen an ihrem Schicksal schuld sind, weshalb die Geflüchteten ihr Leben nicht selbst in die Hand nehmen und erklärt, dass die Alten ja vor 50 Jahren hätten wissen müssen, wie es heute um sie stehen würde… dann ist man fein raus. Und kann sich wieder seinen eigenen Sorgen widmen. Oh ja, ich habe mich darin selbst erkannt – ich war Opfer und Täter gleichzeitig. Und da war er wohl direkt mein erster kleiner Funke Re-Entry-Cultureshock.

Ich bekam den Flieger, entschuldigte mich bei meinen Kinder, bekam Küsse und Umarmungen und wir meisterten auch die letzte Etappe. Ich bin stolz auf uns! Und dann umarmte ich meine Liebsten, aß ein Frühstück mit Butter, Frischkäse, Bacon, Milch ohne Beigeschmack, Laugen- und Vollkornbrötchen und war fast im Himmel. Ist ja nicht alles schlecht an Deutschland! Ich freute mich auch über Kundenservice bei einem verlorenen gegangenen Koffer und Straßen ohne Schlaglöcher und diese Ruhe hier. Und die Gewissheit, dass zu jeder Zeit ein Krankenhaus mit kompetenten Ärzten erreichbar ist und mein Baby und ich hier in dieser Hinsicht sicher sind. 

 

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Die Kinder waren sofort komplett da und liefen nackig durch den Gartensprenger und tobten mit ihrem Onkel. Und ich weiß noch nicht ganz wo ich bin. Ich bin hier in meiner Heimat und doch bin ich noch nicht ganz da. Gerade fühlt es sich für mich an wie ein Karibikurlaub – so vom Entspannungsgrad. Das Leben in Deutschland ist so schön – und es ist noch schöner, wenn man all die Privilegien eine Zeit lang mal nicht hatte. Es ist traumhaft hier! Und doch bin ich irgendwie anders… ich bin nur zu Besuch. Hier ist für mich vieles vertraut und doch nicht mehr normal. Der Alltag – Einkaufen, Auto fahren, zur Bank gehen … – läuft nicht mehr automatisch. Ich muss nachdenken, mich fragen ob ich mich „richtig“ verhalte. Mir fallen Details auf, die ich nie wahrgenommen habe…

Und mich hindert nichts mehr hier zu sein und alles zu genießen. Pause zu machen und mich um mich selbst zu kümmern. Aber mich hinter auch nichts, wenn es Zeit ist wieder zu gehen. Nichts hindert mich. Hallo Deutschland! Hallo Heimat.

5 Antworten auf „Hallo Deutschland // Ankommen in der Heimat

  1. Es tut mir so leid, das Dir diese deutsche Gesellschaft so einen Schlag ins Gesicht verpasst hat.

    Ich stelle es mir schwierig vor,jetzt die Vorzüge unseres Landes genießen zu können/dürfen, … geht es doch in Äthiopien (in unseren Augen) viel demütiger zu.

    Alles Liebe für dich und deine Familie. Und ein gutes Ankommen hier.

    Sarah

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  2. Ach Sarah… So gute Worte gefunden für die Kraftanstrengung, die darin liegt, mehrere Welten gleichzeitig zu begreifen, zu erleben, zu umarmen.

    Wir in Äthiopien vermissen euch jetzt schon…
    Auf dass du in vier Monaten am Bole Airport erneut voller Freude „Hallo Heimat!“ rufen kannst! Und ich rufe dann sowas wie „Willkommen daheim!!“

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  3. Freut mich das Ihr so gut Zuhause angekommen seid und bin weiter gespannt was die nächste Zeit noch so passiert bei euch. Ärger dich nicht erst heute stand ich mit meiner Tochter 4, auf der Rolltreppe nebeneinander oh Schreck und das in Deutschland (Samstags in einem Einkaufszentrum nicht zur Rushhour am Hauptbahnhof). Prompt kam ein Frau von hinten „rechts stehen links gehen“. Ich meinte daraufhin sie ist klein und will bei mir sein ( wir lernen gerade Fahrradfahren, Sie ist sehr anhänglich). Die Dame erwiderte „ich hatte selbst zwei kleine Kinder und habe das hin bekommen“. Ein herzlichen Glückwunsch das Sie das so toll können, konnte ich mir nicht verkneifen. Hier hilft wohl nur Humor. Alles gute für euch!!! Auch selbstbestimmte moderne Mütter brauchen Mal Hilfe!

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  4. Es tut mir leid zu lesen, dass du in Frankfurt am Flughafen so einen schwierigen Start hattest! Als Trost kann ich dir berichten: manchmal ist es dort auch ganz anders! Ich hatte im letzten Jahr eine ähnliche Situation mit drei Kindern und einer älteren Frau und habe wahnsinnig viel Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, Witz und Ideenreichtum erlebt – viele Menschen haben uns beim Transfer geholfen und es wurden Dinge möglich gemacht, die eigentlich unmöglich schienen! Vielleicht hatten alle Leute, die du getroffen hast, gerade einen schlechten Tag!? Warte ab: ich wette, bald wirst du in einer ähnlichen Situation auch mal eine ganz andere Erfahrung machen dürfen!

    Genießt den deutschen Spätsommer und freue dich an alldem, was hier leckeres auf den Tisch kommt!

    😍😊😊

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  5. Auch wenn ich keine Mama bin, kann ich Vieles von dem, was du geschrieben hast, sehr gut nachvollziehen. Ich bin als Missionarskind in Ägypten aufgewachsen und lebe nun seit 10 Jahren in Deutschland. Diese Stimmungsschwankungen und das Gefühlschaos habe ich aber auch immer noch, wenn ich dort bin und wenn ich wieder zurück in Deutschland bin. Nicht ganz da, nicht ganz hier. Immer wieder dankbarer in Deutschland, wenn ich dort war… Danke für diesen tollen Artikel!

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