In diesem Blogpost antworte ich auf eine Nachricht, die mir eine Leserin gesendet hat. Und die Frage, ob unser Hinterfragen, die Unzufriedenheit und neue Rollenbilder wirklich nur „modern“ sind oder mit Jesus Werten übereinstimmen.
„(…) Ich dachte ich wäre diese typische Hausfrau. Seitdem ich Mutter bin merke ich das meine eigenen Bedürfnisse, Visionen, Kräfte, Ideen nicht plötzlich verschwunden sind, sondern mir bewusster werden.
Mein Mann erlebt diese innere Verwandlung stark und daher ergeben sich heftige Konflikte. Weil ich vom Typ her niemand bin, der hinnimmt, sondern den Konflikt suche und einstehe. Das ist herausfordernd für alle. Von außen leben wir, würde ich sagen, im christlichen Kontext ein ziemlich modernes Familienmodell, aber persönlich erlebe ich das immer noch sehr ungerecht. Ich merke dennoch, dass sich da was tut. Mehr aber in der Praxis als vom Mindest, was ich viel wichtiger finden würde.
Ich merke ich habe in diesem Bereich keine biblischen Antwort auf die Rolle der Frau. Ich hab das Gefühl es wird als „moderne“ Entwicklung gesehen und ist mit dem eigentlichen biblischen Verständnis nicht ganz vereinbar. (…)“
Vielen Dank für deine offene, verletzliche Nachricht. Ich finde, das macht dieses Thema so komplex. Denn wir diskutieren nicht nur theoretisch, wir diskutieren hier auch unseren Alltag, unsere Partnerschaften und teilweise auch unsere Identität. Und einige diskutieren gar nicht erst mit, denken gar nicht erst weiter und verschließen sich der Möglichkeit, dass Gerechtigkeit anders aussehen könnte als das was sie aktuell erleben und bisher als gottgegeben hingenommen haben. Und ich habe den Eindruck, dass sehr oft die Angst um die eigene Partnerschaft ein Grund ist. Was würde passieren, wenn ich zu Erkenntnissen komme, die mein Partner nicht teilt?
Deshalb finde ich deine Worte so mutig. Diese Konflikte sind mutig, die Unzufriedenheit ist mutig, das über den Tellerrand schauen ist mutig. Sie erinnern mich an diese Liedzeile:
„Ich hab lieber nasse Füße vom übers Wasser geh’n. Anstatt aus ‚nem trocknen Boot dem Leben hinterher zu sehn. (…) Wer wirklich frei sein will, muss aufs offne Meer raus treiben.“
(Johannes Falk, Nasse Füße)
Du hast ja konkret nach dem biblischen Verständnis gefragt. Und natürlich finden wir Begriffe wie Care-Arbeit, Mental-Lord, Gender-Pay-Gap usw. nicht in der Bibel. Wohl aber das grundsätzliche Thema der Ungerechtigkeit und wie Jesus damit umgeht. Natürlich stehen sie alle da: Die Worte über Frauen, die sich unterordnen und schweigen sollen. Auch Jesus hatte mehr männliche Jünger, kein biblisches Buch wurde von einer Frau geschrieben, die Geschichten über Frauen sind in der Unterzahl. Mit Bibelstellen: „Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi. Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, (…) die Frau aber habe Ehrfurcht vor dem Mann.“ (Epheser 5:21-33, LUT) muss man erstmal umgehen.
Und bibeltreue Christen würden das dann wörtlich nehmen wollen. Viele haben Angst diesen Ansatz zu verlassen, weil sie dann vielleicht eine Weile orientierungslos sind. Was gilt dann überhaupt noch, wenn ich die Bibel nicht mehr wörtlich nehme? Dabei vergessen sie, dass sie schon längst nicht mehr bibeltreu leben. Sie denken, sie seien eine der wenigen, die Gottes Wort wirklich noch erst nehmen, aber tragen Kleidung aus Mischgewebe, rasieren ihren Bart, essen Schweinefleisch, tragen Caps in der Gemeinde, essen Garnelen und Meeresfrüchte, berühren Frauen, die ihre Tage haben, verlassen das Haus während ihrer Periode und essen Obst von Bäumen, die noch keine 5 Jahre alt sind. All das und vieles mehr wäre wirklich bibeltreuen Christen nicht erlaubt. Wir selektieren – egal wie für wie bibeltreu wir uns halten. Aber vielleicht ist das ja auch gar nicht dein Thema.
Also, wenn wir sowieso selektieren, wie selektieren wir dann gut? Bibelauslegung ganz einfach herunter gebrochen stellt drei Fragen:
- An wen ist der Text geschrieben?
- Was sagt der Text den damaligen Zuhörer:innen/Leser:innen?
- Welche Botschaft leitet sich daraus für den heutigen Kontext ab?
Und wenn wir uns in den Bibelkontext der Evangelien hineinlesen merken wir: Jesus hatte mehr männliche Jünger, ja. Aber er hatte überhaupt weibliche Jüngerinnen mit denen er allein sprach, die er unterrichtete, von denen er sich unterstützen ließ, mit denen er reiste. All das was revolutionär. So einen Rabbi gab es vorher nicht. Biblische Bücher wurden nicht von Frauen geschrieben, weil Frauen nicht schreiben konnten. Bibelstellen wie Korinther 14,33-35 stoßen uns auf, wenn da steht, dass Frauen still sein sollen, wenn etwas gelehrt wird. Aber, dass Frauen überhaupt dabei waren, überhaupt mit zuhören durften, Bildung erfahren haben – das war neu! Das war ungewöhnlich. Und in diesem Kontakt ließt sich der Text plötzlich anders. Außerdem war nicht alles, was in der Bibel beschrieben wird, Gottes Wille, vieles ist einfach eine Beschreibung der damaligen Gesellschaft. Und der Bibeltext aus Epheser 5 (siehe oben) war so wie er dort steht Status Quo für die damalige Gesellschaft. Der hat niemanden aufhorchen lassen, wenn nur die Teile, die ich oben zitiert habe gelesen worden wären. Was er da schreibt ist keine neue Anordnung. Was dort jedoch auch im Text steht und oben von mir weggelassen wurde, ist neu und beinhaltet revolutionäres Material: „Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi. (…) Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Gemeinde geliebt hat und hat sich selbst für sie dahin gegeben (…) So sollen auch die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Leib.(…) Denn wir sind Glieder seines Leibes.“ In einer Kultur in der Frauen nicht einmal gezählt wurden und man Gott regelmäßig dankte, nicht als Heide oder Frau geboren zu sein, sollte man sich nun den Frauen hingeben und sich ihnen unterordnen. An diesem Beispiel wird so gut sichtbar, das zum einen Bibeltexte immer in einem direkten Textkontext stehen und so schnell einzelne Zwischensätze weggelassen werden können und die Botschaft verändern. Und sie wurden in einen gesellschaftlichen Kontext geschrieben wurden und der Text zeigte für die Leser:innen damals oft eine andere Richtung als für uns. Damals beinhaltet selbst einer der Texte der heute am stärksten gegen die Gleichheit der Frau ausgelegt wird feministische, revolutionäre Botschaften. Wenn Jesus damals schon Feminist war, warum sollte er heute seine Richtung geändert haben?
So, das ist nun ein Teil meiner Meinung und ich stelle sie hier jetzt nochmal in einen Chor von klugen, studierten Menschen, die sich zu diesem Thema auch geäußert haben:
„Man zeige mir den antiken Autor, der so viele Ausreißer hat wo Frauen und Männer in einer Weise gleich sind. Gleichwertig und nebeneinander als Partnerschaft. Ich sehe es nirgendwo. (…) Man muss auch sagen, es gibt viele Stellen, da geht es um Allerlei und da findet sich in der Bibel das Denken was überall im kulturellen Umfeld normal war. Das ist bei Jesus so und bei Paulus so. Es ist völlig normal, dass Männer aktiv sind. (…) Aber es gibt aber diese Ausreißer, die damit einen Richtungssinn haben. (…) Diese Ausreißer sind auffällig. Sie machen einen Unterschied.“ (frei zitiert aus dem Podcast „Karte & Gebiet“ zum Thema „Gleichberechtigung“ von Tobias Faix und Thorsten Dietz)
Kenneth E. Bailey schreibt in seinem Buch „Jesus war kein Europäer“, dass Jesus eine radikal neue Richtung im Hinblick auf Gleichberechtigung von Mann und Frau einschlug. (S. 190)
Feminismus sei etwas zutiefst Christliches: „Im Himmel gibt es keine Hierarchien“, argumentiert die evangelikale Pastorenfrau und Uniprofessorin Beth Allison Barr.
„Auch die patriarchale Eheordnung war lange ein Leitbild, das die Kirchen gefestigt haben. Dabei ist interessant, dass gerade die Jesusbewegung so ein Geschlechterverhältnis in Frage gestellt hat. (…) Man versucht, die Geschlechterordnung zu modernisieren und sie ein wenig emanzipatorischer zu formulieren – nach dem Motto „gleich aber verschieden“. Aber genau dies war und ist die Logik der bürgerlichen Geschlechtermetaphysik. Man tut so, als ob es nur um „verschieden“ ginge und leugnet die daraus resultierenden asymmetrischen Entfaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten, die Frauen benachteiligen. (Isolde Karle im Interview in „zeitzeichen“, http://www.ev.ruhr-uni-bochum.de/mam/pt-karle/36_zz11-17_interview_karle.pdf)
„Ich habe der Freikirchenwelt meinen Glauben an Gott zu verdanken, das Wissen um und damit erfahren von einer persönlichen Beziehung zu Jesus und ein geistgeleitetes Leben. Das ist mein gläubiger Kern. Darum herum trage ich seit Jahren und Jahrzehnten Lage um Lage ab von ungesunden, gestörten Schichten von religiöser Prägung. Nein, das ist keine Dekonstruktion meines Glaubens, kein «post-irgendwas», das nennt sich Heilwerden, Gesunden in eine gottgewollte, schöpfungsgleiche, gleichberechtigte und gleichgestellte Weiblichkeit und Männlichkeit hinein.“ (Veronika Schmidt, Autorin von „Endlich Gleich“ auf ihrem Blog http://www.liebesbegehren.ch/blog/category/Feminismus)
„Jesus lebt in den Tiefen der Gerechtigkeit, wo echte Beziehungen wichtiger sind, als egoistische Ziele. Da, wo das Königreich Gottes alles auf den Kopf stellt, und dort, wo die Liebe Gottes in Gemeinschaft erfahrbar ist. In der Apostelgeschichte sehen wir eine Gemeinschaft aus Sklaven und Freien, Heiden und Juden, Männern und Frauen, Schwarzen und Weißen, die in einem selbstlosen, liebevollen Miteinander alles teilen. Das war ein radikaler Reich-Gottes-Moment mitten in einer gespaltenen Welt. Es machte die Mächtigen der damaligen Welt nervös, weil es so revolutionär war. Gleichheit zwischen Rassen, Klassen und Geschlechtern ist immer noch ein total explosiver Gedanke, vom tatsächlichen Leben ganz zu schweigen. Wenn Christen wirklich die Prinzipien des Königreichs leben würden, wären wir wandelnde Zeichen und Wunder für diese Welt. Gott schuf uns alle, Männer und Frauen, nach seinem Bild, um die Erde zusammen zu verwalten. Wenn wir das nicht schaffen, zeigt sich darin die Sünde und nicht Gott.“ (Kallauch, J. im Interview mit Danielle Strickland: Heilsarmee-Offizierin – Jesus war ein Feminist. 21.08.2017. https://www.jesus.de/heilsarmee-offizierin-jesus-war-ein-feminist )
Mit diesen Worten möchte ich meine Antwort beenden. Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass unser Hinterfragen, die Unzufriedenheit und neue Rollenbilder nicht einfach „modern“ oder „hipp“ sind – sonder von großer Bedeutung! Ich bin überzeugt, dass Gleichberechtigung und Gerechtigkeit sowas von mit Jesus Werten übereinstimmen. und hoffe, ein paar Ansätze zum Weiterdenken und -diskutieren, vielleicht auch streiten, beitragen zu dürfen. Lasst mich gern wissen, was eure Meinung zu diesem Thema ist? Könnt ihr mitgehen? Und ist Jesus’ feministische Prägung schon in eurem Alltag angekommen? Prägt es euer Mindest und eure Rollenbilder?
Ich finde mich in deinen Gedanken total wieder, Sarah. Ich komme immer mehr an den Punkt, von den konkreten Buchstaben weg zu sehen und stärker auf den Kontext zu schauen, um die eigentliche Botschaft zu verstehen. Weil die Buchstaben selbst den Weg auch einfach verstellen können (steht ja auch 2Kor3,6).
Trotzdem ist es noch ein langer Weg. Da spielt so viel Prägung eine Rolle. Ich hätte früher niemals gedacht, wie schwer es fallen kann, die Dinge los zu lassen, die mich eine Zeit meines Lebens geprägt haben. Aber das sitzt echt tief.
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