Müde steige ich die steile Treppe zu unserem Schlafzimmer hinauf. Der Tag war lang und ich bin erschöpft. Nicht nur körperlich, sondern besonders innerlich. Vieles kommt mir so sinnlos vor und ich fühle mich leer und weil ich mich so leer fühle, finde ich, dass ich zu wenig zu geben habe. Aber meine Hände sind voll. In diesem Moment halte ich ein sehr schwer gewordenes zehnmonatiges Baby. Und doch trage ich noch viel mehr mit mir herum, den alltäglichen Mental Load der schmutzigen und sauberen Wäsche, der Absprachen der Kinderbetreuung und der ständig zu klein werdenden Schuhe. Den Tanz zwischen Excellenz und Abgrenzung meines Berufslebens balanciere ich dabei gefühlt ganz oben auf all dem Mental Load herum, wie die Frauen in Uganda ihre gelben Wasserkanister auf dem Kopf. Und dabei trage ich auch so viel Glück, so viel Freude und Segen der Kindheit, dass ich es wortwörtlich, gar nicht alles fassen kann. Denn meine Hände sind schon so voll.

Manches davon könnte ich aber mit Leichtigkeit durch den Alltag tragen – auch wenn es die offensichtlicheren Lasten sind. Doch was wirklich schwer wiegt, liegt in meinem Herzen. Einige Sorgen, für die ich noch keine Lösung gefunden habe. Und blicke ich durch ihre Brille in die Zukunft, dann wird jede Treppenstufe beschwerlicher. So unwahrscheinlich scheint es mir, dass es nochmal richtig gut wird.

Ich komme oben an und falle in meinem Sessel. Die Rollos sind schon geschlossen damit meine kleine Hannah gleich schlafen kann. Wegen der Hitze des Tages ist der Fenster noch leicht gekippt damit ein bisschen Abendwind durch das Zimmer wehen kann bevor die Nacht einzieht. Und als ich müde in den Sessel falle, trifft das Licht er Sonne genau mein Gesicht. Erst blendet sie mich fast. Durch den schmalen Spalt im Fenster strahlt sie genau mittig direkt auf mich. Dann schließe ich beim Stillen meiner Kleinen die Augen und spüre ihre konzentrierte Wärme auf meiner Wange und beginne sie zu genießen und ruhig zu werden.

Vorgestern hatte ich meinem Sohn Liam ein Buch über das Weltall vorgelesen. Die riesigen Zahlen der Entfernungen der Planeten, die Umlaufbahnen die mitten in all dem Nichts des Weltallas klar vorgegeben scheinen. Die unterschiedlichen Elemente aus denen die Planeten bestehen und all das noch Unerforschte hatte mich in Staunen versetzt und fasziniert in seinen Bann gezogen. Das wir nicht nur in einer Stadt, nicht nur in einem Land sondern auf einem riesigen Planeten leben, hatte mich demütig gemacht. Wenn man da diesen Erdball so ins Buch gemalt sieht und sich vorstellt, was für ein unscheinbarer kleiner Punkt ich in Zeit und Raum auf diesem Planeten bin. Gleichzeitig war ich wieder einmal so erstaunt, dass es eben diesen einen Planeten gibt auf dem es Leben gibt. Und, dass ich dazu gehören darf. Dass meine Lungen Sauerstoff atmen und ich hier vor Meteoriten geschützt werde – von einer Schicht aus Gas, wohlgemerkt – und sicher mein Leben verbringen kann. All das erfüllte mich mit Ehrfurcht. Denn auf der nächsten Seite wurde das Bild noch größer: Es ging nicht mehr nur um Planeten, sondern um ganze Galaxien und Sonnensysteme. Der Raum wurde so groß und mein Blick so weit, dass ich so wunderbar klein wurde – und vieles so Schwere wurde mit mir ganz klein. 

Doch der Moment hielt nur kurz und so hatte mich an diesem Abend all meine Last wieder eingenommen und sich mit Zukunftssorgen gemischt zu mir in den Sessel gesetzt. Doch die exakt durch den Spalt scheinende Sonne, deren Hitze so unvorstellbar groß ist, dass ich sie trotz ihrer Entfernung hier in meinem Sessel spüren kann, erzählte mir von der Hoffnung. 

Ich bin ein so kleiner Punkt im Universum, ja. Aber gerade deshalb scheint es mir noch so viel unwahrscheinlicher, dass die Himmelskörper genau in diesem Moment in Raum und Zeit so angeordnet sind, dass mir die Sonne jetzt genau direkt durch diesen winzigen Spalt auf die Wange scheint. Als hätte sie dort auf mich gewartet, als hätte sie gewusst, dass ich hier gleich müde in den Sessel falle. Als wäre ich erwartet worden. Wie unwahrscheinlich ist denn das bitte? Und doch ist es so. Und ich spüre die Wärme der Liebe, nun nicht nur auf meiern Wange sondern auch in die schweren Ecken meines Herzens scheinen. Ich mag klein sein und mein Leben kurz im Angesicht der Geschichte des Universums, aber ich bin jemandem wichtig. So wichtig, dass er bereit ist sein ganzes Sonnensystem für einem Moment so auszurichten, dass mich hier sein Blick trifft. Ja, es ist unwahrscheinlich, dass all meine Sorgen unbegründet sind. Aber hier rechnet die Liebe und sie findet ihr Ziel – sie wird mich immer finden.

4 Antworten auf „Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es gut wird?

  1. Puh mal wieder mitten ins Herz getroffen. In einem Moment der sich schwer und bedrückend anfühlt. Danke

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  2. Danke das du uns an deinen Gefühlen teilhaben lässt. Du hat meine Gedanken sehr schön in deine Worte gefasst .
    Viele Grüße Barbara

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