„Ihr seid doch verrückt, oder?“ war schon eine naheliegende Reaktion auf unsere Pläne. Aber ich bekomme auch immer häufiger Nachrichten aus der Instagram Community, von Leuten, die ähnliche Pläne haben wie wir. So verrückt sind wir vielleicht doch gar nicht – oder auf jeden Fall gibt es genauso verrückte wie uns. Deshalb dachte ich, es lohnt sich vielleicht mal unsere Erfahrungen zu teilen und nebenbei bekommen alle Interessierten noch ein kleines Update von uns als Familie. Eigentlich hätte ich ja schon zwanzig Blogartikel schreiben wollen – und auch können. Aber ich weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll zu schreiben, denn jede Alltagssituation könnte ja einen Blogartikel hergeben. Und vor Überwältigung schreibe ich dann gar nicht. Deshalb jetzt mal so ein richtiges „Thema“ – und ich glaube auch, wenn unser Umzug ein sehr extremer Umzug war, gibt es eigentlich viele Erfahrungen und so viele Tipps von anderen, die bestimmt auch für einen Inlands-Umzug hilfreich sind.
Wie habt ihr euch vorbereitet?
Vielleicht ist es hier erstmal wichtig zu sagen, was wir nicht gemacht haben: Wir waren vorher noch nie in Äthiopien und hatten also keine Ahnung, was uns erwartet. Es hätte uns nur jede Menge Geld gekostet und irgendwie doch nichts für uns geändert.
Wir haben aber einen Sprachkurs in Amharisch an der Uni Hamburg belegt und uns mit Äthiopiern in Hamburg getroffen und sie über ihr Land befragt – und das war super! Und wir sind oft äthiopisch essen gegangen. Es war dann irgendwie schön, hier einige Dinge zu entdecken, die wir kannten und ein paar der lokalen Gerichte zu kennen und einige Brocken Äthiopisch zu verstehen. Ich glaube sonst hätte ich mich noch viel fremder gefühlt in den ersten Wochen.
Wie habt ihr die Kinder vorbereitet?
Wir haben eigentlich nicht mehr zu ihnen gesagt, als sie gefragt haben. Das scheint uns irgendwie in vielen Lebensbereichen eine gute Richtlinie. Und so haben wir ihnen relativ früh gesagt, dass wir nach Äthiopien umziehen und auch einige Bücher über Afrika ins Bücherregal wandern lassen und dann gewartet, was von ihnen kommt. Wir haben ihnen keine Trauer und auch keine Vorfreude in den Mund gelegt – und das war auch gut so finden wir. Sie müssen nicht unsere Gefühle tragen aber in jedem ihrer Gefühle wollten wir sie annehmen, finden wir. Ich habe dazu „When children grieve“ gelesen und das war eine super Hilfe. Sie haben sich in Hamburg also schon sehr auf das warme Wetter gefreut und, dass sie endlich keine Winterkleidung mehr brauchen. Und ich erinnere mich zum Beispiel wie Liam eines Tages fragte: „Wer kommt dann zu meinem Geburtstag wenn ich vier werde?“ Und danach ging er jedes Familienmitglied und jeden Freund durch. Und mit jedem „Nein, der leider nicht“ wurde der Kloß in meiner Kehle größer. Dann fragte er: „Wer kommt denn dann?“ Und ich antwortete tapfer: „Wir werden da sicher neue Freunde finden.“ „Auch Kinder?“ „Ja, ganz bestimmt!“ Dann sagte er zufrieden: „Okay, alles klar.“ und ging spielen. Die Welt der Kinder ist oft so anders als unsere. Ich weinte dann meine Tränchen, als er den Raum verlassen hatte. Das waren ja meine Gefühle – nicht seine.
Was habt ihr mitgenommen?
Uns wurde sehr empfohlen, Lampen und Glühbirnen mitzunehmen, da es hier nur so Neonlicht gibt und Tupperware. Beides haben wir gemacht und beides war richtig gut! Im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern gibt es hier fast alles aus dem Rest der Welt importiert – aber es ist unendlich teuer (oder schlechte Qualität) #hellochina
Wir haben auf große Möbelstücke verzichtet und auch ohne Maria Kondo zu kennen jede Menge Kleidung, und all dieses Zeug, was „man eben so hat“ ausgemistet, verkauft und weggegeben. Und dafür haben wir jede Menge Deko und Lampen, Lichterketten, Plakate und Bilderrahmen mitgenommen. Unsere Möbel haben wir uns hier Second-Hand zusammen gesucht oder mit Pinterest Bildern als Vorlage bei einer NGO tischlern lassen, in der Menschen mit Handicap ausgebildet werden. Das hat super geklappt und unser Haus sieht jetzt wirklich schon nach einem Ort aus, der zu uns passt und wohin wir gerne andere einladen!
Außerdem hat uns ein Freund der mit seiner Familie bereits 4x auf unterschiedliche Kontinente umgezogen ist, empfohlen nicht knauserig mit dem Spielzeug der Kinder zu sein. Und deshalb haben wir wirklich viel Spielzeug mitgenommen und sind jetzt für jedes einzelne Teil dankbar!
Außerdem haben wir eingepackt: Kinderschuhe und Kleidung in den nächsten Größen, Reisapotheke natürlich, Küchengeräte wie Mixer, Geschirr und Gläser von IKEA, Elektrogeräte, Lautsprecher, Pc’s, Nähmaschine, UPS Geräte (die die Stromschwankungen „abfedern“), Werkzeug aus Deutschland, Kissenbezüge, Bettbezüge. Man kann es so zusammenfassen: Entweder Dinge, die man hier nicht bekommt, die sehr praktisch sind oder die uns persönlich ein Gefühl von zu Hause geben.
Was habt ihr zuerst gemacht, als ihr angekommen seid?
Ganz zu allererst muss man natürlich erstmal einen Supermarkt finden, Geld abheben mit dem man dort bezahlen kann und bestenfalls schlafen. Wir wurden super empfangen und haben auch gleich am ersten Tag äthiopische SIM-Karten gekauft und unser zukünftiges Haus besichtigt bevor wir ins Gästehaus gefahren sind. Dann waren wir aber auch doppelt k.o. als wir dort ankamen. Außerdem hatte ich etwas H-Milch, Miracoli, Schokoaufstrich und Brot eingepackt. Das war richtig gut! So hatten wir erstmal etwas im Haus von dem wir auch wussten, wie es schmeckt. Und es war irgendwie ein verrückter Moment, das einzupacken und hier wieder auszupacken. In Deutschland dachte ich „Werde ich das wirklich in 3 tagen in Äthiopien kochen?“ und hier dann „Habe ich das wirklich gerade noch auf einem anderen Kontinent ind er Hand gehabt?“. Irgendwie surreal.
Das mit dem Gästehaus würde ich sehr empfehlen! Es war einfach so gut, nicht direkt in eine Baustelle zu ziehen (auf der es in unserem Fall die ersten zwei Wochen kein Wasser gab). Wir konnten ganz in Ruhe im Gästehaus ankommen, wurden noch etwas wie Touris behandelt und konnten uns dann langsam in unser langfristiges zu Hause (das wir nur über Dritte und Fotos aus Deutschland gemietet hatten – ein absoluter Glücksgriff!) umziehen.
Was hat euch in den ersten Woche geholfen?
In Deutschland wurden uns immer wieder Namen und Emailadressen von Leuten die hier in Äthiopien wohnen zugesteckt. Jeder schien irgendeine Cousine oder ehemalige Arbeitskollegin zu haben , die hier wohnt. Das war wirklich spannend! Wir haben denen dann immer unbekannterweise geschrieben und uns angekündigt und sind immer wieder Fragen losgeworden. Wir haben ausnahmslos nette und hilfsbereite Antworten bekommen und hatten dann hier gleich Leute, die wir treffen konnten und die uns auch wirklich praktisch geholfen haben. Das war wirklich eine super Starthilfe!
Außerdem haben wir unsere Erwartungen ganz ganz drastisch runterschrauben müssen. An einem Tag zu streichen, mal eben im Baumarkt Farbe zu holen, nochmal kurz loszugehen und Kreppband zu kaufen und dann bis nachts zu streichen war einfach eine Illusion. Alles dauerte für uns unglaublich lang. Und Dinge wie Stromausfall und Wasserknappheit taten ihr übliches. Wir steckten uns kleine Ziele und sahen in guten Momenten alles als Schulung. In schlechten Momenten waren wir einfach nur total gefrustet. Gehört auch dazu.
Und: Wir haben alle in einem Raum geschlafen. Eigentlich sind wir nicht so total die Familienbett-Typen, aber für diese Zeit war es gut. Vor einer Woche haben die Kinder ihr eigenes Hochbett bekommen und nun siedeln sie langsam in ihr eigenes Zimmer um. Ich glaube für die Kinder war es so gut, diese Stabilität und Sicherheit am Anfang zu haben. Wir haben auch oft Waffeln gebacken, getuscht usw. eben Dinge, die sie kennen.
Was hättet ihr im Nachhinein anders gemacht?
Ich hätte eigentlich gern noch viel mehr mit den Kindern gemacht. Wäre gerne mehr bei ihnen gewesen, aber wir hatten so viel mit dem Visum, dem Möbel kaufen, renovieren und uns selbst zu tun, dass die Kinder auch oft auf sich allein gestellt waren oder eben einfach mit mussten. Wir waren schon anwesend, aber nicht so viel für sie da wie ich es mir im Nachhinein wünschen würde.
Und ich hätte einen Container gepackt. Ich glaube das ist tatsächlich sehr speziell für diese teure Stadt in Äthiopien, aber im Nachhinein wäre es vielleicht wirklich günstiger gewesen, einen Container mit unseren Möbeln zu packen. Diese Stadt ist einfach teurer als München und Hamburg zusammen und wir sind so froh, dass wir ein Jahr zuvor bei meinen Eltern gewohnt haben um Geld zu sparen – sonst hätten wir das niemals bezahlen können! Mein Mann erzählte mir Gerade das z.B. das Internet mit der Geschwindigkeit die wir in Deutschland hatten hier 20.000€ im Monat kostet. Ja, es gibt hier alles – fast. Aber alles hat seinen Preis. Also, wenn ich nochmal herziehe, nehme ich meinen Router mit – oder wie funktioniert das nochmal…? 😉
Ich hätte außerdem gern mehr Gewürze eingepackt wie Oregano, Basilikum etc. und weniger teure Medikamente. Die medizinische Versorgung ist hier echt gut und es gibt natürliche Mittel gegen Malaria – da hätten wir hunderte Euro gespart.
Vermisst ihr Deutschland?
Wir fragen uns manchmal ob und wann der Kulturschock oder irgendein depressives Tief über uns herein bricht, denn seit unserer Ankunft hier vor 10 Wochen geht es uns sehr gut. Ich selber hatte ein paar Tage an denen ich meine Heimat besonders morgens vermisst habe. Ich wäre am Liebsten gar nicht aufgestanden. Das Leben hier in dieser neuen Welt war einfach anstrengend und hatte noch gar keine Struktur – die mir sehr wichtig ist. Aber wenn ich mich dann aufgerappelt habe und einfach losgelegt habe, wurde ich an diesen Tagen immer wieder überrascht. Hier muss man nämlich nicht alles planen, wie bei uns. Da kommt eine nette Nachbarin vorbei, plötzlich läd einen jemand ein oder der Mann ergattert einen funktionstüchtigen, bezahlbaren Kühlschrank. So wurde ich meistens schnell wieder aufgeheitert.
Aus dem Buch darüber, wie man trauernde Kinder gut begleitet – und ja zu einem Umzug gehört für die meisten Kinder ein Stück Trauerarbeit – habe ich dann gelernt, den Kindern auch ein Vorbild darin zu sein, meine Trauer zu zeigen und mich nicht dafür zu schämen, damit auch sie sich trauen ihre Gefühle zu zeigen. Das ist natürlich ein schmaler Grad, da nicht zu manipulieren. Aber ab uns zu in ruhigen Momenten bei einer Waffel haben wir dann jeder gesagt was wir vermissen – ohne es zu relativieren mit „aber hier ist es ja auch schön oder so.“ Es durfte so ein und stehen bleiben und es hat gut getan! Ab und zu sagen die Kinder noch, dass sie z.B. den großen Garten bei Oma und Opa, das Pferd auf dem sie geritten sind oder ihre Wasserrutsche vermissen. Und dann sagen sie wieder ganz unabhängig davon: „Es ist so super, dass es hier immer warm ist“ oder „Zum Glück haben wir hier so ein tolles Bett!“.
Ich persönlich habe im Moment gar kein Bedürfnis zurück nach Deutschland zu gehen. Uns geht es gut hier. Es gibt einige Dinge, die würde ich mir für die Kinder wünschen, weil ich sie als Kind so schön fand. Aber das sind ja meine Wünsche und nicht zwingend auch, was die Kinder tatsächlich gut finden. Ich vermisse nicht Deutschland – aber immer wieder doch meine Familie und Freunde in Deutschland. Die würde ich am liebsten alle hierher holen! Und tatsächlich kommen bald die ersten Familienmitglieder zu Besuch. Bis dahin zählen wir schon die Tage.
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Danke für den Bericht. Ich war als Kind mit meinen Eltern in Angola und habe keine negativen Erinnerungen, auch wenn meine Eltern nicht viel Zeit hätten. Freue mich auf weitere Berichte. Liebe Grüße und Gottes Segen
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Das ist so ein toller Artikel! Ich finde ihn richtig interessant, gerne mehr davon 🙂
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