„Waas, du ziehst zu deinen Schwiegereltern?“ wurde mein Mann in den vergangenen Monaten immer wieder voller Entsetzen gefragt. Hinter diesem verrückten Vorhaben verblasste sogar der Plan, nach Äthiopien zu ziehen.
Es soll sie wohl geben, die harmonischen Großfamilien, die ihre kaum vorhandenen Konflikte in Ich-Botschaften klären und deren Mütter und Töchter „schon immer wie beste Freundinnen“ waren. Vielleicht gibt es da draußen, solche Familien – ich gehöre nicht zu einer von ihnen. Eher zu der Sorte, wo die Tochter sich nichts sehnlicher wünscht, als auszuziehen und zwar am Besten weit weg nach Afrika. In der die Konflikte so gewaltig sind, dass die Eltern zum Schutz der jüngeren Geschwister beschließen, es wäre besser, wenn ihre älteste Tochter – ich glaube sie hieß Sarah oder so… – tatsächlich auszieht, bevor sie volljährig ist. Eine Familie in der gestritten wird, in der man einander auf die Nerven geht und in der bei Weitem nicht alles rosarot ist. Zu so einer Familie gehöre ich.
Und jetzt ziehe ich hier wieder ein. Freiwillig. In meinem ehemaligen Kinderzimmer steht heute ein Ehebett und nebenan schlummern zwei kleine Kinder. Ich stelle mir immer wieder vor, jemand hätte das meinem fünfzehnjährigen Ich sagen sollen… so eine Zukunftsvision wäre so fernab jeglicher Vorstellungen gewesen!
Und wie ist es nun?
Wir wohnen jetzt seit zwei Monaten hier. So langsam verziehen sich die letzten Baustellen und Werkzeuge aus den Ecken und die IKEA Besuche werden weniger. Es kehrt ein bisschen Alltag ein und ich wage mein erstes kleines Zwischenfazit: Es ist besser als erwartet!
Ich war darauf eingestellt, mich häufig beobachtet, unfrei und eingeschränkt zu fühlen. Doch nach ein paar Tagen gewöhnte ich mich an die Nähe. Meine Eltern gehören jetzt – für eine Zeit – zu meinem zu Hause dazu. Wir leben hier zusammen und das fühlt sich richtig und gut an. Denn wir sind jetzt erwachsen und wir haben uns verändert. Ich glaube, wenn wir Jesus nicht getroffen hätten, hätten wir Sturköpfe niemals so zusammen gefunden. Aber irgendwie macht er es möglich. Wir kennen durch ihn Vergebung, Nachsicht und haben auch alle irgendwie wichtigere Dinge zu tun, als uns über nicht rausgestellte Mülleimer herumliegende Schuhe zu ärgern.
Und ich entdecke einfach immer wieder so viele Vorteile! Es ist der Hammer! Letzte Woche war ich einfach mittags beim Friseur. Meine Mutter war zu Hause, ich brachte ihr das Babyphone während die Kinder Mittagsschlaf machten und weg war ich. Als die Kinder gerade wach wurden, stand ich mich frisch geschnittenen Haaren in der Tür. Heute Abend fiel mir auf, dass die Milch alle ist. Ich sagte schnell unten Bescheid und düste kurz zu Rewe. Das Leben kann so einfach sein. Und es ist meistens jemand da, der die Post annimmt, wenn ich zu viel gekocht habe, werde ich es bei meinen Eltern los. Und wenn ich nichts gekocht habe, hat meine Mutter sicher was. Oder wenn ich kurz einmal die Küche aufräumen will, schlage ich vor, kurz mit Oma ein Buch angucken zu gehen. Man kann sich einfach in so vielen kleinen Situationen gegenseitig helfen, das habe ich vorher gar nicht so kommen sehen.
Das Schönste daran
Doch ich glaube, das Schönste für uns alle ist, dass die Kinder hier so viel Freude haben. Liam legt im Moment sehr viel wert auf seine Kleidung und weil er so gewachsen ist, kam in letzter Zeit häufiger mal ein neues Kleidungsstück mit der Post. Er zog es jedes Mal voller Begeisterung vorm Spiegel an und dann war sofort der zweite Gedanke: „Mama, Liam geht kurz Oma seine chice Jacke zeigen, ja?“ Immer wenn wir zu Hause ankommen, will Liam unbedingt als erster zur Tür laufen und bei Oma und Opa klingeln. Sobald ihm die Tür geöffnet wird, sprudelt der Wasserfall los und er erzählt ihnen mit überschlagenden Worten jedes Detail seiner letzten paar Stunden. Die Kinder wachsen einfach in einem Beziehungsnetzwerk auf, das aus mehr Menschen als nur den Eltern besteht und irgendwie fühlt sich das für mich so richtig an gerade.
Ich habe auch noch viele unbeantwortete Fragen: Würde das auch so harmonisch bleiben wenn es langfristiger angelegt wäre? Könnte ich mir so ein Leben am Stadtrand vorstellen? Was kommt noch auf uns zu? Wo ist es gut, Grenzen zu setzten und wo will ich bewusst keine haben? Es bleibt spannend… aber bis zum heutigen Tag kann ich sagen, ich bereue diese Erfahrung nicht. Bisher hat sich der Mut ausgezahlt. Und wenn wir es schaffen, mit unseren Eltern/Schwiegereltern unter einem Dach zu wohnen, kann der Umzug nach Äthiopien ja nur noch ein Kinderspiel werden 😉
Hoch interessant wie sich die Beziehung zu den Eltern vom Teeniealter zum Erwachsenen-Dasein verändert. Diese Erfahrung habe ich auch gemacht. Wir wohnen nicht bei unseren Eltern, aber einfach wahrzunehmen wie Erwachsenwerden und eine gewisse räumliche Distanz über einen Zeitraum sich positiv auswirkt, tut beiden Seiten gut. Und es ist herrlich zu lesen wie ihr das Miteinander genießt, ein Geben und Nehmen. 👍😀
LikeGefällt 1 Person