Mamas Tierliebe trieb unsere ganze, kleine Familie dazu, sich auf den Weg Richtung Kuhwiese zu machen. Papa hatten wir diesen Mini-Vormittagsausflug durch die Ankündigung eines riesigen, starken Bullens mitten auf der Wiese, schmackhaft gemacht. Und so zogen wir los.
An der Weide angekommen herrschte allgemeine große Enttäuschung; die Kühe waren auf eine andere Wiese umgezogen und wir konnten sie nur noch von Weitem sehen. Also entschlossen wir uns, einen anderen Weg nach Hause durch die kleine Ferienhaussiedlung in den Dünen zu nehmen. Nichtsahnend.

Da hörten wir plötzlich aus einem Busch ein kleines, unschuldiges „Miau“. „Oh guck mal Liam, hier hat sich eine Katze versteckt!“. So kamen wir ja doch noch dazu unsere Tierliebe auszuleben. Wir bleiben stehen und versuchten herauszufinden, woher das Geräusch kam. Wir hörten das Mauzen, aber sahen nichts. „DA!“ Die Katze war kleiner als erwartet. Sie kam aus dem Busch heraus genau auf uns zu. Als hätte sie auf uns gewartet. Aber sie sah jämmerlich aus. Ein Auge zugeschwollen und voller Eiter. Meine Gedanken ratterten kurz eine innere Checkliste durch: Sind da noch mehr? Ist er schon zu alt für eine Mama? Wenn nicht, wo ist die dann? Ist er ansteckend? Er nieste. Katzenschnupfen. Und weit und breit kein Besitzer, keine Mama, keine Geschwister. Nur ein kleiner, kranker Kater.
Ich nahm ihn hoch. Und unter seinem Bauch wuselte es von Flöhen. Oh, nein! Nun musste Liam – der eigentlich hundemüde war – alleine laufen. Mein Arm war besetzt mit einer verflohten, kleinen, kranken Katze. Ich hatte immer Katzen gehabt und dadurch kannten wir uns aus und unser Herz war voll Mitleid. Aber unseren Vormittag hatten wir uns trotzdem anders vorgestellt.

Nach endlosem Warten in dänischen Telefonwarteschleifen von Tierärzten, bekamen wir letztendlich eine Nummer von der „Animal Rescue“. Mit dieser Nummer könnten wir die Katze bei jedem Tierarzt behandeln lassen – kostenlos. Ich war begeistert! Beim Tierarzt angekommen ging alles ganz schnell. Der Arzt packte den kleinen Kater in eine Transportbox und ich sollte nur noch schnell dieses Formular ausfüllen. Ich hatte Liam ins Bett gebracht und seinen kleinen, verliebten und aufgeregten Augen erzählt, ich würde den Kater jetzt zum Arzt bringen, damit sein „Aua“ besser wird. Also fragte ich die Tierarzthelferin noch schnell, ob ich noch ein Foto vom Kätzchen machen könnte um es meinem Sohn zu zeigen. „Jetzt oder wenn er tot ist?“ fragte sie mich etwas verwundert und trocken. Mein Herz rutschte in die Hose.

„Sie wollen ihn töten?“
„Ja, wir können ihm nicht anders helfen. Unsere Tierheime sind voll. Deshalb haben sie diese Nummer bekommen, damit wir ihn einschläfern.“
„Können wir ihn mitnehmen?“

Schnell rannte sie dem Arzt hinterher. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Ja, klar könnten wir ihn mitnehmen. Der Tierarzt war froh, den Kater am Leben lassen zu können und mit einem unglaublich teuren „Spezialpreis“ impfte und versorgte er uns den kleinen Kater. Er würde wieder gesund werden, keine dramatischen Krankheiten. Und ab ging es nach Hause. So hatten wir uns den Ausflug zu den Kühen irgendwie nicht vorgestellt. Aber da war er und wir konnten und wollten ihn nicht ignorieren. Wenn man einmal um eine Not weiß, will man doch etwas tun, oder?

„Ich kann nicht anders als Ehrfurcht haben vor allem, was Leben heißt, ich kann nicht anders als mitempfinden mit allem, was Leben heißt.“

–  Albert Schweizer

Der Tierarzt sagte, es gäbe so viele solcher Babykatzen. Sie laufen von den Bauernhöfen in die Ferienhaussiedlungen und werden dort von naiven Urlaubern gefüttert. Dann sind die Urlauber weg und die Katzen verhungern, denn den Weg nach Hause zu Mama haben sie längst vergessen. Diese Geschichte scheint genau auf Findus zu passen. Er ist kinderlieb, menschenbezogen und stubenrein. Und gerade einmal zwölf Wochen alt.

Als ich beim Arzt war, konnte ich meinen Mann nicht erreichen. Er hatte – ganz in Urlaubslaune – sein Handy ausgeschaltet. Und so fuhr ich hundert Euro ärmer und eine kranken Kater reicher, wieder Richtung Ferienhaus. Wir hatten gerade bevor wir in den Urlaub fuhren festgestellt, dass es auch nett ist ohne Haustier, weil man niemanden braucht der es im Urlaub pflegt. Und ich hatte keine Ahnung wie er reagieren würde. Ich wusste, er könnte mir Vorwürfe machen, dass ich Geld was wir nicht über haben ausgegeben habe und, dass die Katze, die ich eigentlich wegbringen wollte, jetzt wieder in unserer Wohnung sitzt. Neben unseren überglücklichen Kindern auf dem Wohnzimmerfußboden. Ich traf ihn im Flur und begann zu erzählen: Vom Tierarzt, dem Formular, seiner Diagnose, der Urlaubs-Babykatzen-Schicksale… Und als ich fertig war, sah ich ihm in die Augen und war auf alles gefasst. Er antwortete: „Ich hätte genauso entschieden!“ Und ich war sooo erleichtert. Und voller Fragezeichen. Was sollten wir jetzt machen? Jetzt lebte er. Aber sollte er wirklich unser Kater werden? Wir beschlossen am Ende des Urlaubs eine Entscheidung zu treffen und erstmal abzuwarten.

Denn wir haben viel vor in den nächsten Monaten. Wir werden unsere zwei Jobs beenden, zweimal umziehen, haben zwei kleine Kinder und planen einen Umzug und ein Leben in Afrika. In den nächsten 12 Monaten. Eigentlich haben wir keine Kapazitäten und sind auch irgendwie nicht auf der Suche nach noch mehr Aufgaben. Warum kann sich nicht jemand anderes um diese Katze kümmern? Warum mauzt sie uns an? Vielleicht, weil Jemand, Einer und Man auch gerade im Urlaub sind. Und wir haben doch immer noch Platz in unserer Familie. Für Menschen – und seit letzter Woche auch für Katzen. Also, hier ist er: Findus Keshtkaran. Seinen Namen hat er von „Peterson und Findus“, Liams Liebliungbuch, und irgendwie finden wir ihn passend, weil es so nach Finden klingt. Und Findus hat uns gefunden.

„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“

–  Albert Schweizer

Ich bin kein Vegetarier und auch kein Greenpeace-Mitglied. Und ich glaube auch nicht, dass die Welt ein schlechterer Ort wäre, wenn diese eine kleine Katze gestorben wäre. Aber irgendwie wäre mein Herz ein Stückchen härter. Mir zu erlauben mitzufühlen, mich von Emotionen bewegen zu lassen und zu erlauben, dass das Leben eines anderen Wesens – auch wenn es „nur“ ein Tier ist – mich etwas kostet, macht mein Leben zu einem schöneren Ort. Ein Ort an dem es immer wieder einmal warm und ehrlich ist, an dem nicht nur Vernunft regiert. Ein Leben, an dem es Liebe und Ehrfurcht für das Leben gibt. Sei es noch so klein, krank und verfloht.

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2 Antworten auf „Ein kranker Kater für die Keshtkarans

  1. einfach nur großartig, die Geschichte mit der Katze! Du hast das Nächstliegende getan und alles weitere wird sich für das Kätzchen bestimmt finden. Du hast so schön berichtet! Gruß, Elke

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