Comparison is the thief of joy (Theodore Roosevelt)
Ich lebe zwischen den Kulturen. Schon immer habe ich die Andersartigkeit geliebt. Ich habe ein Jahr in Afrika gelebt. Habe bei dänischen Familien gewohnt und mir mit einer Grönländerin mein Zimmer geteilt. Studiert habe ich in England, zusammen mit Österreichern und Amis. Die Menschen in meiner Kirche kommen aus über achtzig verschiedenen Nationen. Als Sozialarbeiterin habe ich kaum mit Deutschen zu tun gehabt und vor einigen Jahren heiratete ich einen Iraner – nun ist nicht einmal mein Kind wirklich deutsch =) Und ich liebe dieses Leben!
Der Kontakt zu so vielen unterschiedlichen Menschen und Kulturen bereichert mich. Er schäft meine Sinne und lässt mich verstehen wer ich bin und wie ich bin. Er lässt mich herausfinden was in der Tiefe meiner Seele schlummert, was mir wirklich wichtig ist. Er lässt mich fragen „Warum eigentlich?“ und „Was ist eigentlich normal?“
Aber die anderen sind eben auch ganz schön anders. Und ich auch. Und obwohl Vergleichen die Freude stiehlt, kann man auch ohne Vergleich kaum Unterschiede beschreiben. Sie ist extrovertiert, er introvertiert. Er ist sparsam, sie großzügig. Sie ist temperamentvoll, er zurückhaltend. Er ist konservativ, sie innovativ. Sie ist ruhig, er laut. Die Afrikaner finden mich reicher. Für die Dänen bin ich effizienter. Laut der Engländer bin ich viel direkter. Die Amis finden mich zurückhaltender. Die Iraner finden mich distanzierter.
Vergleichen macht den Unterschied deutlich – und es gibt viele Unterschiede.
Die gibt es aber wahrscheinlich nicht nur zwischen den Kulturen. Auch zwischen den Generationen. Zwischen den Geschlechtern. Unterschiede gibt es glaube ich überall wo Menschen leben. Aber wie schnell wird mir jemand introvertiertes langweilig. Der Extrovertierte aufdringlich. Jemand sparsames geizig und der Großzügige wird verschwenderisch.
Ich bewerte und ziehe meine Schlüsse. Ich bilde mir ein Urteil. Ein Vorurteil? Die haben wir doch in unserer ach so toleranten Gesellschaft längst abgebaut! Oder? Aber wie kann es dann sein, dass ich meinen Mann immer noch unordentlich finde? Und die Verkäuferin dick. Und meine Freundin undistanziert. Und den Bankberater arrogant. Vielleicht ist (vor)urteilen nicht nur ein gesellschaftliches Thema – sondern mein persönliches. Vielleicht ist es keine theoretische, prinzipielle Überzeugung, sondern alltägliche Praxis.
Zwischen den Kulturen wird mir deutlich, was überall zwischen Menschen passiert. Ich urteile. Verurteile. Mich selbst.
Don’t pick on other people – unless, of cause, you want the same treatment. (Die Bibel)
Ich verderbe mir nicht nur die positive Sicht auf den anderen, sondern auch auf mich. Denn die gleiche Messlatte die meine Urteile geschmiedet haben, liegt jetzt auch als Maßstab auf meinem Leben. Ganz unbemerkt und selbstgemacht.
Ich finde Freiheit und meine Freude zurück, wenn ich damit aufhöre.Wenn ich den anderen mal sein lass. So anders. Wenn ich mal nicht beurteile, sondern einfach anders sein lasse. Wenn andere anders sein dürfen, dann darf ich das auch.
Dann ist mein Mann plötzlich nicht unordentlich, sondern freiheitsliebend. Und die Verkäuferin hübsch. Und meine Freundin herzlich. Und den Bankberater selbstbewusst.
Vielleicht ist (vor)urteilen nicht nur ein gesellschaftliches Thema – sondern mein persönliches. Vielleicht ist es keine theoretische, prinzipielle Überzeugung, sondern alltägliche Praxis.
Ich möchte nicht nur, dass diese Gesellschaft frei wird von Vorurteilen. Ich selber möchte mich davon frei machen. Diese Freude am Leben und an den Menschen will ich mir nicht rauben lassen!
2 Antworten auf „Zwischen den Kulturen leben“