Sie saßen zusammen an der Elbe, aßen Pizza mit jeder Menge Oliven und tranken Fritz-Limo und Rotwein. Es war Sommer, und die Freundinnen hatten sich lange nicht mehr in dieser Konstellation getroffen. Ihre Verbindungen zueinander waren unterschiedlich eng und weit, und sie kamen aus den unterschiedlichsten Ländern und Hintergründen. Doch das hier war kein Treffen zur interkulturellen Kompetenzbildung. Das hier war Genuss, Lebensfreude, der Sommer und Schwesternschaft. Sie hatten diese Art von Freundschaft, bei der man sich jahrelang nicht gesehen haben konnte und dann aufeinandertraf und genau dort anknüpfte, wo man sich beim letzten Mal mit guten Wünschen für die nächsten Projekte, laufenden Krisen und anstehenden Veränderungen überschüttet und mit ein wenig zu viel Wein im Kopf lachend und herzlich voneinander verabschiedet hatte.
„Ich weiß nicht, ob ich das darf, wenn ich ganz ehrlich bin“, sagte Lina, nachdem sie von einem Jobangebot gesprochen hatte, das sie endlich von der Last der zu schweren Verantwortung für Menschen in schwierigen Lebenslagen befreien könnte. Sie würde sich Blusen kaufen müssen, in ein Büro gehen, Dinge tun, die ihr im ersten Moment viel weniger sinnvoll vorkamen – und wesentlich mehr Geld verdienen. „Darf ich mehr Geld für mich wollen, wenn ich eigentlich habe, was ich zum Leben brauche? Darf ich mehr Geld verdienen und nicht alles spenden, solange ich weiß, unter welchen ungerechten Umständen Menschen leiden? Du weißt, was ich meine, Selam, oder? Wenn ich daran denke, wie Yedidia da haust – und sie ist schon eine der wohlhabenden Frauen. Wie sie jeden Birr umdreht, wie sie gefangen in einer Ehe ist, die ihr schadet. Wenn ich an das Wellblech und die Pfützen im Innenhof, die nach Urin riechen, weil die Toilette kaputt ist – schon immer – denke, dann kann ich doch nicht mehr Geld wollen.“
Cathleen wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie nahm einen Schluck Wein. Aus dem Augenwinkel hatte sie eine ganze Weile ein Pärchen beobachtet. Es war, als würde sie überall nur glücklich Verliebte sehen. Sie genoss die Zeit mit ihren Freundinnen und schämte sich, sich dabei in die Arme eines Mannes zu wünschen.
Sie war in Othmarschen aufgewachsen. Hier direkt an der Elbe. Sie saßen mitten in ihrer Heimat, in der es jede Menge Aperol, Aktien und große Wohnküchen mit hohen Decken, Stuck und vielen Dingen gab, die irgendwann mal jemand angeschafft hatte, aber nun doch niemand nutzte. Das war nie schlimm, denn es schadete ja niemandem. Ihre Familie war eine derer, die die Wirtschaft am Laufen hielten. Geld war für sie etwas, das immer da war – ein Geburtsrecht sozusagen. Es war da, es wurde verteilt, gemanagt und vermehrte sich von Generation zu Generation. Und doch war sie nicht sorglos – und wunschlos schon gar nicht. Nur auf die Frage, ob man Geld wollen dürfte, hatte sie keine Antwort. Denn sie hatte es nie wollen müssen. Sie hatte es immer gehabt und verstand nicht, warum man damit Schwierigkeiten haben sollte.
Doch diese Worte kamen nun aus dem Mund derjenigen, von der es niemand erwartet hatte. Schon immer hatte Kathleen Selmas Wein bezahlt, wenn sie sich trafen. Selam kam aus einer Welt in der Armut der Lebenstandard war und nur in unterschiedlichsten Abstufungen vorzufinden war. Ihr Weg hierher in diesen Freundeskreis war für alle ein sehr besonderer. Sie war eine unglaublich starke und lebensmutige Frau. „Ich verstehe nicht, warum es falsch sein sollte, mehr Geld zu haben als vorher“, sagte Selam. „Es hilft doch niemandem! Lina, wirklich keinem der Babys dort unter Wellblechdächern auf heißen, auspuffverseuchten Straßen ist geholfen, wenn du hier in deinem Leben weniger Geld verdienst.“ Lina sah sie ernsthaft an. Wie meistens bei ihren Treffen entstand irgendwann zwischen dem Lachen über unmögliche Gespräche mit der Schwiegermutter, das letzte Date, die unkonzentrierte Arbeitskollegin oder die furchtbar lustigen Momente des Blasensprungs ein Moment, der ihnen ein Schatz werden würde. Etwas, das sie mitnahmen, das unter der Oberfläche von Sommerabendgelächter Wurzeln schlagen würde. „Lina, du hast das Recht, dir dein Leben so unangenehm zu machen, wie du möchtest. Aber verwechsle es nicht mit Nächstenliebe, wenn deine Aufopferung niemandem hilft außer, deine Schuldgefühle zu besänftigen.“
„Danke, Selam“, sagte Lina. Mehr brauchte es nicht. Cathleen sah von ihrem Rotweinglas auf und lächelte. Sie wusste, dass man sich die wichtigsten Dinge sowieso nicht kaufen konnte. Und bei allem, was sie sich noch wünschte, wurde ihr bewusst, wie dankbar sie war, keine Angst vorm Glück zu haben und sich zu erlauben, mehr zu wollen.
Ganz starke und klare Worte, danke!! Mach Lust mehr von dieser einzigartigen Frauen-Runde mitzubekommen 😀
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Ich finde schon, dass es einen Unterschied macht, ob man viel von seinem Geld behält oder viel teilt.
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