„Sie sagen, ich sei unerfahren, jung und naiv“, sagt der achtzehnjährige Lars Westa über das Mikrofon irgendwo in einer UN-Versammlung. Und ich fühle mich plötzlich beobachtend und identifiziere mich nicht mehr mit ihm. Die Realität, dass ich tatsächlich nicht mehr jung und unerfahren bin, ist in mir angekommen. Zum Glück. Und auch ein bisschen leider. Das ist die Lebensmitte, auf die ich zulebe und die ich sehr liebe. Und die mich gleichzeitig verstört.
Letztens saß ich auf dem Elternabend meines Sohnes und war begeistert über seine ambitionierten Tutoren, während ich realisierte, dass sie einfach echt jünger waren als ich. Ich hatte doch gerade noch selbst hier auf einem dieser Stühle gesessen. Einige Tage später rief mich eine Lehrkraft an, um mir zu erklären, dass ich mich in bestimmten Situationen in Zukunft anders verhalten solle. Sie war freundlich und klar. Und sie war jünger als ich. War es das erste Mal, dass mir jemand Jüngeres etwas erklärte und mir eine Grenze setzte? Oder nahm ich es das erste Mal so bewusst wahr? War das meine Zukunft? Würde ich ab jetzt entscheiden, ob ich eine angenehme oder eine „Mein liebes Fräulein, so sprechen Sie aber nicht mit mir“-Frau werde? Sie hatte recht, und ich bewunderte sie für ihre Klarheit und ihren Mut.
„Sie mögen recht haben. Ich bin jung, unerfahren und naiv“, sprach der junge Mann weiter, „aber ich weiß noch, wie man träumt.“ Und gestern, als der Zukunftsentscheid in Hamburg entschieden wurde und Luisa Neubauer, die tatsächlich nur acht Jahre jünger ist als ich, verkündete, dass wir es geschafft haben und Hamburg nun wirklich ein besseres Klimaschutzgesetz bekommt, da habe ich gemerkt, dass in meiner Freude auch Überraschung war. Ich hatte für den Zukunftsentscheid geworben, hatte dafür gestimmt und mich ein wenig vernetzt. Und ich hatte eher so ein Gefühl von: Tropfen auf den heißen Stein. Ich hab’s selbst nicht geglaubt, ich hab mich nicht getraut zu träumen. Bin ich so alt, dass ich das verlernt habe? Muss uns das passieren, mit den Erfahrungen, die wir sammeln? Oder können wir Träumende bleiben? Denn die Wahrheit ist: Diese Generation, die da noch träumt, rettet uns und unseren Kindern gerade das Klima. Und vielleicht noch viel mehr.
„Träumen Sie, so wie Sie geträumt haben, als Sie in meinem Alter waren“, fordert Lars Westa die Zuhörerinnen und Zuhörer auf. Und ich frage mich, ob ich das will. Und ob ich das noch kann. Denn das hat mich viel gekostet. Und es hat teilweise viel weniger gebracht, als ich gehofft hatte. Und ich habe Erfahrungen, Wissen und Statistiken im Hinterkopf, die mich davor warnen wollen. „Glauben Sie, was Sie noch glaubten, als Sie in meinem Alter waren. Und seien Sie der Held und die Heldin, die Sie in meinem Alter sein wollten.“ Und wenn ich an die Heldin denke, die ich in diesem Alter sein wollte, muss ich leider zugeben, dass da nicht nur Altruismus und Idealismus der Motor waren, sondern auch jede Menge verkleideter Ego. Nein, die möchte ich nicht mehr sein. Aber lieber Lars, ich höre dich. Und du hast recht: Ich bin nicht mehr jung, unerfahren und naiv – zumindest nicht mehr so wie vor zwanzig Jahren. Aber ich möchte mich von dir erinnern und anstecken lassen. Ich möchte Risiken eingehen und immer mal wieder auf dem Wasser gehen. Ich möchte nicht verlernen zu träumen. Dafür muss man nicht jung, unerfahren und naiv sein. Nur mutig.