Vor fast fünf Jahren war ich auf einer Mutter-Kind-Kur und was die Therapeutin mir dort sagte, begann mein Leben zu verändern.

„Wie im Flugzeug“

Ich hatte schon während des Studiums mein erstes Burnout. Ich dachte, es wäre die Menge der Arbeit als Jugendleiterin in der Kirche. Dabei war es nicht die Arbeit, sondern zu was ich sie machte, die mich ausbrennen ließ. Ich wollte unbedingt ein selbstloses, liebevolles Leben leben. Mutter Teresa war eine meiner Vorbilder. Radikal sollte es sein und der Altruismus stand als Anspruch ganz oben auf meiner inneren Liste. Doch je überforderter ich war, desto egoistischer und ungeduldiger wurde ich. Und die Scham darüber trieb mich dazu an, mich noch mehr und besser für andere aufzugeben. Ein Teufelskreis aus Scham und Erschöpfung, den ich ironischerweise mit dem Himmel vor Augen zu leben versuchte. Einige Jahre später bekam ich Kinder. Ich wollte Kinder. Und ich wollte erleben, wie es ist, sich ganz für sie hinzugeben. Ich hatte das so von meiner eigenen Mutter vorgelebt bekommen und da eins meiner Lebensziele sowieso war, mein Ego immer kleiner werden zu lassen, fand ich Mutterwerden einen guten Entwicklungsschritt auf diesem Weg. Im Rückblick würde ich sagen, mein Ego stand mindestens so sehr im Fokus als hätte ich eine Karriere in der Wirtschaft begonnen. Nur speiste er sich nicht aus dem, was man allgemein als erfolgreich bezeichnet, sondern aus dem Gegenteil: wenig wollen, wenig haben, wenig brauchen. Aber das brauchte ich. Und es funktionierte. Nicht.

Da saß ich also schwanger mit dem vierten Kind in der Pandemie nach gescheitertem Auswanderungsversuch. Und die Therapeutin erklärte mir, dass ich mich wie im Flugzeug verhalten sollte. Wenn die Sauerstoffmasken fallen, nehmen sie sich erst selber eine, damit sie sich dann gut um ihre Kinder kümmern können. Ich brauchte den zweiten Teil des Satzes, um zu beginnen umzudenken. Ich war noch nicht so weit, nur aus Selbstliebe an mich selbst zu denken. Aber aus Nächstenliebe auch für mich zu sorgen leuchtete mir in dieser Situation ein.

Ich machte zwei Schritte vor und begann, mich selbst zu spüren. Mich zu fragen, was ich will und was ich brauchte. Dann machte ich wieder einen zurück, bekam ein schlechtes Gewissen, hatte keine Zeit, zu viel Stress, um zu fühlen. Dann wieder einen vor. Irgendwann hatte ich Panikattacken. Plötzlich mitten im Alltag auf dem Spielplatz bekam ich keine Luft mehr und saß abends in der Notaufnahme, um mir sagen zu lassen, dass mit mir alles okay ist. Aber ich war nicht okay.

„Immer einen Notgroschen übrig!“

Letzte Woche, als ich mitten am Vormittag entschied, zum Pilates und in die Sauna zu gehen, anstatt zu arbeiten, musste ich abends wieder an einen Satz denken, der mir aus dieser Zeit hängen geblieben ist. Ich war unsicher, ob es eine gute Entscheidung war, einfach alles liegen zu lassen. Der Sommer war so anstrengend gewesen und ich nicht mehr sehr belastbar. Aber es war auch so viel liegen geblieben, was endlich erledigt werden wollte. Ich genoss die Bewegung, mich zu spüren, zu atmen und die Sauna dennoch, machte mir sogar noch ein leckeres Essen und frischen Orangensaft und kümmerte mich einen Vormittag lang so richtig schön um mich. Ich hatte das Gefühl, mich zu verwöhnen und leider auch immer noch ein damit verbundenes schlechtes Gewissen. Glücklich und entspannt machte ich mich auf den Weg, meine Kinder abzuholen. Vor dem Kindergarten leuchtete eine Alarmlampe im Auto. Ich dachte, das sei bestimmt ein Fehlalarm. Schlechter Scherz. Nein. Auch mehrmaliges Aus- und Einschalten des Autos löschte die Lampe nicht. Zwei hungrige Kinder im Auto, die Pannenhilfe am Telefon, während ich bei ChatGPT die Kosten überschlug. Und in mir war es ruhig. Ich war mit einem vollen Reserveakku in dieser Situation angekommen und obwohl der Nachmittag mit zwei Kindern in der Werkstatt und zwei weiteren allein zu Hause und jeder Menge Menschen am Telefon mit unterschiedlichen Informationen und der Verantwortung zu entscheiden und zu bezahlen allein bei mir, wirklich anstrengend war, schaffte ich es gut. „Es ist gut, immer einen Notgroschen mehr zu haben als man braucht.“ hatte ich mal gehört. Und gelernt, dass es dabei nicht nur um Geld, sondern auch um innere Reserven ging. Ich darf mich nicht erst um mich kümmern, wenn ich nicht mehr anders überleben und funktionieren kann. Ich darf mich vorausschauend fragen, was ich brauche, um auch ungeplanten Herausforderungen nicht hilflos ausgeliefert zu sein.

„Es ist nicht Badewanne und Schokolade“

Und trotzdem begegneten mir ab und zu unangekündigte Momente, in denen sich mein Brustkorb zuzog und ich keine Luft mehr bekam, denen auch die größten Energiereserven machtlos ausgeliefert waren. Die Panikattacken waren das schlimmste Gefühl, das ich mich erinnern kann, erlebt zu haben. Besonders als ich noch nicht wusste, dass es Panik war, die mir das Gefühl gab zu sterben. Da dachte ich, ich würde vielleicht wirklich sterben. Mitten im Alltag ersticken. So schnell kann es gehen.

Heute sehe ich auf sie zurück und bin ihnen dankbar. Zum einen habe ich keine Angst mehr vor der Angst. Ich kann heute mit ihr umgehen, wenn sie kommt, und das ist ein unbeschreiblich ermächtigendes Gefühl. Und ich bin ihnen dankbar, denn mein Körper zeigte mir mit ihnen, wie es meiner Seele ging. Ich bekam keine Luft mehr. Ich drohte zu ersticken. Und mir begann bewusst zu werden, dass Selbstfürsorge nicht bedeutet, regelmäßig Schokolade zu essen und in der Badewanne zu liegen. Es bedeutet, ein Leben zu gestalten, aus dem ich nicht mehr fliehen möchte. Eins, das mir keine Angst mehr macht.

Dieses Leben nimmt immer mehr Gestalt an und es beinhaltet eine Frau, die nicht nur selbstfürsorglich handelt, damit sie besser für andere funktioniert, sondern weil sie selbst ein Mensch ist, der wertvoll genug ist, umsorgt zu werden. Und mit diesem Satz abzuschließen fühlt sich immer noch so waghalsig an. Als müsste ich mich noch erklären, um nicht als Egoistin missverstanden zu werden. Aber mit der Angst kann ich ja jetzt immer besser umgehen.

5 Antworten auf „Meine 3 Schritte zur Selbstfürsorge

  1. Liebe Sarah! Ja, wow – soo ehrlich… Hmm – Mutter Teresa war und ist auch mein Vorbild. Ich hatte nur den Vorteil, sie selbst in Kalkutta 1984 erlebt zu haben. Und da gab es eine Situation, wo sie für sich selbst sorgte. Ich war mit einem mission outreach team von 19 Amerikanern und mir bei Mutter Teresa und wir hatten bei ihr einen Termin von 1 Stunde. Aus der einen Stunde machte sie 2. Weil sie so viel Freude mit uns hatte. Sie zeigte uns noch das Kinderheim, obwohl ihre Mitschwestern im Hintergrund schon heftig Zeichen machten, dass wohl der nächste Termin? Besuch? anstand. Aber sie entschied jetzt ganz für uns da zu sein. Sie strahlte Ruhe, Freundlichkeit, große Güte aus. Sie spürte, wir waren an ihr und wie sie ihren Glauben lebt zutiefst interessiert. Als ich sie fragte, was ihr Dienst/ Berufung sei erwartete ich die Antwort: „Unser Dienst ist an den Armen, unser ganzes Leben aufzugeben.“ Aber Mutter Teresa antwortete: „Wir sind ein Orden für Gebet und Kontemplation…“ Kontemplation – das kannte ich von meiner Bibelschulausbildung aus den USA. Kontemplation ist ein tiefes, inniges Gebet ohne Worte ‚ einfach mit und bei Jesus sein. So tief im Gebet sein, mit IHM verbunden zu sein, dass es keiner Worte mehr bedarf. Oder sie sagte auch, wenn eine Mitschwester traurig ist, dann darf diese Schwester an dem Tag nicht zum Dienst an den Armen in Kalkutta rausgehen, sondern sie bleibt im Mutterhaus. Traurigkeit haben die Armen schon genug, da brauchen sie nicht noch eine traurige Ordensschwester. Es war auch klar, das sich alle Missionarinnen der Nächstenliebe in Kalkutta immer am Donnerstag zurückzogen – einen freien Tag in der Woche an einem schönen Ort hatten. Die waren einfach weg, und andere Helferinnen kümmerten sich an dem Tag um die Kranken, Kinder, psychisch Verwirrten, … Wir erfuhren davon, weil manche Kranke uns erzählten, der Donnerstag sei immer doof, die Helferinnen waren nicht so nett wie die Nonnen … 🙂 Aber Mutter Teresa sorgte für sich und ihre Schwestern. „Wir brennen sonst aus.“ Ihre Ausstrahlung, aber auch Ruhe und nicht gehetzt sein waren für mich immer Ansporn, so zu werden. Zentriert, in Jesus ruhend … Ist mir natürlich auch nicht immer gelungen … 2 Hörstürze innerhalb von nur 6 Wochen mit 39 Jahren zeigten auf, dass ich doch zu viel tat. Und ich brauchte auch psychologische und geistliche Beratung um aus selbstgemachten Stress usw. rauszukommen. Da gäbe es noch sehr viel mehr zu erzählen, aber das geht nicht schriftlich.

    Ich freue mich, dass Du für Dich sorgst. Ja, das ist gut, richtig, wichtig und nicht egoistisch! Sei ganz lieb gegrüßt!!! Jutta

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  2. Liebe Sarah! Danke für deine Offenheit, deine Worte! Bei den letzten beiden Absätzen sind mir die Tränen gekommen. Ich hatte am Sonntag eine Panikattacke. Ich kämpfe schon länger damit, ohne zu wissen was es ist. Seit Sonntag habe ich Klarheit und nun werde ich mir auch endlich Hilfe holen. Es ist eindeutig, dass mein Körper, dass ich genug habe. Mein Körper hat nun Hilfe geschrien! Ich höre ihn! Jetzt werde ich was dagegen tun.

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