Ich mache mir meinen Kaffee und drehe mich nochmal um. Da steht die kleine Milchkanne und dampft in der Sonne durch mein Küchenfenster, die seit kurzem immer wieder mal den Frühling erahnen lässt. Als würde der weiße Nebel tanzen. Ich lehne mich mit meiner warmen Tasse in der Hand in den Türrahmen und lächle. „Ist das schön flüstere“ ich ihm zu. Ich schäme mich schon lange nicht mehr dafür mich, wenn ich im Alltag allein bin mit Gott zu unterhalten, als sei es das natürlichste der Welt. Und ich freue mich nicht nur über den Dampf im Sonnenlicht und meinen Kaffee in der Hand. Ich freue mich, dass ich mich daran freue.
Das war nicht immer so. Meine Zwanziger waren durchzogen von einer tiefen Sinnhaftigkeit und einem Alltag in dem ich mich mit aller Kraft in meinen Überzeugungen verausgabte. Gestern sah ich „Becoming Nawalny“ auf arte und bei den Abschlussworten: „Wenn du Überzeugungen hast, musst du bereit sein für sie einzustehen und notfalls auch Opfer zu bringen. Wenn du dazu nicht bereit bist, dann hast du keine Überzeugungen. Es sind nur Gedanken in deinem Kopf.“ begann diese Saite in mir wieder zu schwingen. Sie ist immer noch da. Vielleicht wird sie mal wieder dominanter klingen in meinem Leben, aber gerade spielt die Musik woanders.
Früher dachte ich, dass alles was mich selbst im Zentrum hatte, falsch war. Held:innen waren meine Vorbilder und ich wollte mich für die Sinnhaftigkeit verausgaben. Ich brauchte vier Kinder und die Erfahrung der Überforderung, um meinen Alltag würdigen zu lernen. Man hatte mir immer gesagt – und sagt es mir noch heute – ich solle doch einfach weniger tun. Aber das ist für Menschen wie mich keine Lösung. Denn das weniger tun ist mindestes genauso anstrengend wie das viel tun. Es ist manchmal sogar anstrengender, weil man innerlich gegen den Strom schwimmt. Manche von uns sind einfach so. Es ist nicht die Menge des Tuns, es ist der Grund des Tuns, der den Unterschied macht.
Was mich heilte und heute noch heilt, ist der Blick nach innen. Dort wo meine Antreiber und die Stimmen meiner Vorfahren in mir hallen. Wo die Kritiker sitzen, die doch eigentlich mein bestes wollen und immer wieder auch diese Saite zum klingen bringen: „Sei sinnvoll. Nutze deine Zeit. Vergeude sie nicht!“ Besonders in unsicheren Zeiten, besonders wenn ich Angst habe. Dann werde die Urinstinkte wach.
So wenig wie ich mich schäme mit Gott zu sprechen, so wenig schäme ich mich heute mit meinen inneren Anteilen zu sprechen. Manchmal finde ich es selber ein bisschen lustig. Und dann freue ich mich, dass ich noch was zu lachen habe. Da muss man sich schon wortwörtlich mit sich selber auseinandersetzten, um sich selbst zum Lachen zu bringen. Naja, das ist wohl eine meiner positiven Nebenwirkung therapeutischer Behandlungen.
Ich sehe sie mir also an meine lieben Kritiker:innen. Viele von ihnen haben preußische Wurzeln, einige sind sehr fromm, andere sehr streng. Und irgendwie mag ich sie auch, wie lieb sie sich um mich sorgen. Und sie tun mir auch leid, denn sie wissen so wenig von der sorglosen Lebensfreude die ich entdecke, seitdem ich ihnen immer wieder Grenzen setzte. „So meine Lieben“, beginne ich. „Danke euch. Dank euch nehme ich mein Leben ernst. Ich weiß, ich habe eine Stimme und die will ich auch gern nutzen. Aber wisst ihr, die letzten Wochen mit dem Wahlkampf und diesen viele Gesprächen und Diskussionen waren arbeitsintensiv und jetzt bin ich gerade echt müde. Wenn ihr mich jetzt weiter antreibt hat niemand was davon. Ich habe euch gehört, Danke für eure Mühe. Aber in diesem Moment gibt es nichts sinnvolleres für mich zu tun als meinen Alltag zu leben, meine Wohnung zu putzen, meine Arbeit zu tun, meine Kinder zu küssen und der dampfenden Milchkanne in der Sonne zuzusehen.“
Ich nehme meinen warmen Kaffee, setze mich an meinen Arbeitsplatz im Wohnzimmer und beginne zu schreiben. Was du gerade gelesen hast ist das Ergebnis.
Schön, Dein Text!!!!
Ja, mal viel Arbeit – intensiv – aber dann wenn möglich nicht ins nächste “ reinhechten“ – sondern auch etwas normalen Rhythmus haben und wo möglich innehalten und der Milchkanne zu schauen oder ich meine vielen Krokusse im Garten einfach nur betrachten, schnell für 5 Minuten in die Sonne gehen und mich mitten in die Krokusse stellen. 🙂
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