„Du bist genug. Dein himmlischer Vater liebt dich. Er findet dich schön! Du bist seine Prinzessin.“ lächelt die modern gekleidete Frau mit einer Menge Haarspray in den blondierten Haaren von der aufwendig dekorierten Bühne zwischen Pampagras und Lampions. Sie spricht über Wunden aus unserer Kindheit, von unserer Sehnsucht nach Annahme und dem weiblichen Wunsch auf Händen getragen zu werden. Das war die moderne Methode Frauen in den Kirchen, aus denen ich komme, zu stärken und zu ermutigen. Die Treffen waren geprägt von der starken Überzeugung, dass Frauen ihren Platz in der Welt einnehmen sollen und etwas zu geben haben. Männer nahmen sich den Abend frei, um den Frauen am Eingang einen Sekt zu reichen und sie gentlemanlike zu ihrem Platz zu begleiten. Die Events und die Bewegung war dynamisch und Frauen begannen sich zusammen zu schließen und davon zu träumen gemeinsam Dinge zu bewegen.

Ich hörte „Du bist seine Prinzessin.“ und fühlte mich komisch. Ich hatte Wiederstände. Ich wollte das nicht. Um im nächsten Moment dachte ich, ich sei vielleicht so kaputt innerlich, dass sogar mein tiefer innerer Wunsch, eine Prinzessin zu sein unter den Verletzungen meiner Kindheit verschüttet ist. Ich fühlte mich falsch, und weil alle sich genau richtig zu fühlen schienen, musste es wohl an mir liegen. Doch ich wollte keine Prinzessin sein. Ich wollte nicht auf Händen getragen werden. Ich wollte nicht hunderten Frauen ihren Minderwert ausreden, ich wollte ganz andre Themen bewegen, wollte lieber mit Männern sprechen. Ich wollte stark sein dürfen und keine Prinzessin sein wollen. Doch sowohl ich selbst als auch andere sprachen mir diesen Wunsch ab. Ob ich etwas beweisen wolle? Ob ich nicht schwach sein könne? Woher das wohl kommt? Und wie es sich wohl verändern könnte?

Ja, es gibt Frauen, die denken sie seien zu schwach, zu wenig, zu minderwertig – und ab und zu bin ich diese Frau. Doch es gibt auch Frauen, die haben einfach andere Probleme. Es gibt noch mehr Frauen, die mein Problem haben. Und wir werden immer mehr. Wir denken nicht, dass wir zu wenig sind, wir haben ständig das Gefühl, zu viel zu sein.

Mein Enthusiasmus, erschrickt Menschen oft. Meine innere und körperliche Stärke macht Menschen Angst. Meine kritischen Fragen lassen Frauen wie Männer sprachlos zurück. Meine Leistungsfähigkeit schüchtert andere ein. Und viel zu lange habe ich gedacht, dass ich weniger werden muss. Ein bisschen schwächer, ein wenig leiser, abwartender und angepasster. Doch ich will keine Prinzessin mehr sein wollen, die auf Händen getragen wird. Meine eigenen Arme sind stark genug um andere zu tragen. Und ich tue es gern. Nur möchte ich mich dafür nicht entschuldigen müssen. Möchte hinterher nicht sagen, dass es ja gar nicht so schwer war. Oder demütig einlenken, dass ich es ja nicht aus eigener Kraft tue. Ich trage, ertrage und ich habe keine Krone, sondern Gummistiefel an. Und das gefällt mir gut.

Sie sitzt mir gegenüber und erzählt, dass sie zwölf Stunden am Tag arbeitet. Und sie wirkt kein bisschen karrieregeil oder als ob sie damit ihr Kindheitstrauma zu verarbeiten versucht oder ihre Mutterrolle ablehnt. Sie lächelt und ergänzt: „Ich arbeite auch leidenschaftlich gern.“ Von mir fällt leise eine Last, die wie tonnenschwere Kronen von meinem Kopf fällt. So ging es mir so oft an diesem Wochenende mit wundervollen öffentlich wirksamen Christinnen, weit weg auf einer Insel in der Nordsee auf der wir mit Gummistiefeln sowieso viel besser ausgestattet waren als mit Krönchen. Nachmittags gehe ich mit einer von uns Kaffee trinken und frage, was mir schon lange im Kopf herum schwirrt: „Wie geht es dir damit groß zu sein?“ Denn oh Wunder, habe ich nicht nur Schwierigkeiten mit meiner inneren, sondern auch mit meiner äußeren Wirkung. Wir sprechen über meine Optimalgröße und, dass die natürlich in der Modebranche, wo Frauchen auf ihr äußeres reduziert werden perfekt ist, doch in Führungsetagen eher zu offensiv wirkt. Wir sprechen über Männer, die große Frauen mögen und über uns und wie wir uns lieben können. Und lustiger Weise geht es darum, dass unser himmlischer Vater uns liebt. Und irgendwie ist es doch anders. Denn er liebt uns nicht mehr obwohl wir sind wie wir sind, sondern weil.

Abends trinken wir Wein und sprechen über die Reaktionen in unserem Umfeld, darauf, dass wir unsere Kinder zu Hause lassen um ein paar Tage auf der Insel zu connecten und zu arbeiten. Es reicht von: „Und dein Mann ist dann ganz allein mit den vier Kindern?“ („Ja, genau so allein wie ich wenn ich mich um unsere Kinder kümmere.“) über „Und das kannst du, die Kinder so allein lassen?“ („Allein würde ich sie nicht lassen wollen. Aber sie sind ja bei ihrem Vater, der hat ja das gleiche Verwandtschaftsverhältnis wie ich zu ihnen.“) bis zu „Muss das denn sein? Dein Mann arbeitet doch schon so viel?“ („Würdest du das auch zu ihm sagen, wenn er auf Geschäftsreise ist?“). Und wir sprechen über Mütter, Omas und Schwiegermütter die uns immer wieder vermitteln, dass wir weniger machen sollen, zu viel arbeiten und weniger ambitioniert leben könnten. „Dabei habe ich das Gefühl, ich fange gerade erst an!“ sagt sie in die Runde. Und hilft uns allen, sich weniger allein zu fühlen. Weniger zu viel, weniger zu stark.

Ich komme nach Hause, ziehe mir meine Gummistiefel an, arbeite abends lange, wache morgens viel zu müde auf und lege mich nachmittags aufs Sofa während ich den Kindern das iPad anmache. Und etwas ist anders. Obwohl alles gleich ist. Ich gehe mit dem Kind zum Arzt und habe meinen Computer dabei, von dem aus ich diesen Blogartikel im Wartezimmer tippe während mein Sohn neben mir seine Sachen macht. Und alles ist gleich und doch fühlt sich vieles so anders an. Denn ich denke nicht, ich müsste es anders machen. Es ist genau richtig so, denn es ist nicht zu viel. Ich dachte nur ich wäre es, dabei sind meine Arme stark genug für all das hier. Und ich liebe es! Ja, ich fange gerade erst an.

4 Antworten auf „Für Frauen, die denken sie seien zu viel oder „Ich fange doch gerade erst an!“

  1. Ich kann dich nur in deiner Einstellung bestärken. Die ausgetretenen Pfade und Rollenspiele verlassen und den Anforderungen nach neue Maßstäbe setzen durch situationsbedingtes Handeln. Die Welt verändert sich stetig und nur wer flexibel ist, kommt dem Run der Zeit mit ohne zurück zu bleiben .. LG Sven ❤

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  2. Danke dafür. Du sprichst mir so sehr aus dem Herzen! Ich denke, ich muss einen Permalink setzen, um mich immer wieder daran zu erinnern, dass es auch anderen so geht.

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  3. Oh, wie ich Deine Worte fühle und wie ich in den letzten Jahren so stark in Selbstzweifel gezogen wurde, weil ich eben nicht eine Frau nach den Vorstellungen/scheinbaren Erwartungen meines Umfeldes bin… Ich gehe nicht halbtags arbeiten und bin dann zufrieden mit Haushalt, Kinder, Gemeinde, berufstätigen Ehemann, ich lerne gern und Verschiedenes, veranstalte gern einfach ohne ersichtlichen Grund schöne Events, rede – zwar mit Aufregung – gern vor Anderen, benutze gern das, was Gott mir zur Verfügung stellt, auch das, dass wir von ihm als Familie so gut versorgt sind… Mein Mann glaubt immer an mich, ist mein größter Supporter, ist Vater unserer 4 Kinder – wie ich Mutter bin, wir sind ein Team und wir gestalten unser Leben, wie es für uns gerade passt… Meine sich entwickelnde Selbstständigkeit durfte in den letzten Jahren wachsen, aber die Mauern der Gesellschaft bekomme ich ab und zu mit… Da heißt es für mich regelmäßig „Psychohygiene“ und dann: „Spring, Tina! mit Gottes Hilfe“ Sei gesegnet liebe Sarah!!! Herzlichst Tina

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