Und nachdem sie die Arbeit erledigt hatte und gedankenverloren dem zufriedenen Kauen des Pferdes zugesehen hatte, während der Sturm durch jede Ritze des Holzstalls blaß, sah sie ihn an den schwere Heuballen. Sie wusste, sie müsste das nicht tun. Hier war ein Ort an dem sie nichts musste, an dem sie sich erlaubte pflichtbefreit zu sein.

Aber sie wollte.

Sie wollte spüren, wer stärker war – der Ballen oder sie. Der wilde Sturm spornte sie an und so stand sie auf und stemmte sich mit einem Lächeln und mit ihrem ganzen Selbst gegen den Ballen. Er bewegte sich. Er kam ins Rollen, sie ins Schwitzen. Sie brauchte mehrere Anläufe um ihn über die kleine Stufe der Stallgasse zu bewegen – und es passierte tatsächlich. Es machte ihr Spaß, sich mit einem riesigen Futterball zu messen. Sie spürte jeden Muskel. Und es machte sie glücklich, sich dabei zu beobachten und Freude zu empfinden. Sie tat etwas einfach nur um es zu tun. Das hatte sie sich so gewünscht – wieder zu spielen.

Dann kam die Tür. Die Tür mit einer Stufe. Und die war zu hoch. Sie ging ein paar mal um den Ballen herum, suchte Werkzeug, das helfen könnte. Doch vermutlich wäre nicht nur die Stufe zu hoch, sondern auch die Tür zu eng. Der Ballen blieb dort liegen. Und sie sah ihn verwundert, zufrieden an und freute sich über die Freude, die sie bis hierher erlebt hatte. Ihre innere Perfektionistin, die es in anderen Situationen kaum aushalten konnte, Dinge nicht zu Ende zu bringen, war ungewöhnlich ruhig. Fast musste sie sie mitlächeln.

Der Versuch war es wert gewesen. Versöhnt sah sie in dem Heuballen auch ein Stück ihres Lebens. Sie hatte es versucht. Sie hatte versucht als junge Frau im Beruf alles zu geben und hatte viel erreicht und viel bewegt und dann kam doch das erste Burn Out viel schneller als erwartet. Sie hatte alles liegen lassen müssen und wollte nur noch schlafen. Zu schnell und zu viel gewollt hatte sie immer gedacht. Das war einfach ihre Persönlichkeit. Sie wollte viel und wollte es schnell und dann war da eine Grenze. Doch sie hatte es versucht. Mit aller Kraft. Deshalb tat es auch so weh, weil es nicht halbherzig war, sondern weil sie sich selbst in die Aufgabe hineingelegt hatte.

Sie hatte laut ihre Stimme erhoben und ihre Meinung vertreten und dann hatte das Leben ihr doch die ein oder andere Stufe in den Weg gelegt und sie war abgebogen und immer wieder mal umgedreht. Hatte sich entschuldigen müssen – auch bei sich selbst. Doch in diesem Ballen sah sie den Mut, es versucht zu haben. Sie hatte nicht immer recht gehabt, hatte vom steilen Aufstieg auch selber einige Blasen an den Füßen – aber sie hatte es versucht. Es war kein Scheitern sich zu revidieren – es war eine Weiterentwicklung.

Den Job in New York – sie hatte ihn angenommen. Hatte alles hinter sich gelassen, hatte Abschied genommen und ein neues Leben gestartet. Auf Zeit. Auf zu kurze Zeit. Gleich nach dem ersten Einleben, den ersten Einladungen zu Parties und als sie gerade ihre Leidenschaft für Pilates bei Kathrine entdeckt hatte, kamen schon die ersten Krisen. Rohrbruch und sie wusste die Nummer von keinem einzigen Klempner. Die Kollegin war unter der Oberfläche nicht so freundlich wie sie dachte, das Heimweh größer, die Angst vor dem was sie vorfinden würde, wenn sie zurück ging noch größer. Dann die Kündigung. Ihre Kraft war leer. Ihr jüngeres Ich hätte sich einen neuen Job gesucht, hätte nicht aufgegeben, wäre dran geblieben. Für den Stolz und gegen das Versagen. Doch die Stufe war ihr zu hoch – sie war es ihr nicht wert. Wenn sie ganz ehrlich war. Sie brach die Zelte ab und ging zurück. Sie hatte das immer als Versagen abgespeichert – doch jetzt lag dieser großartige Heuballen hier vor ihr. Und sie konnte ihn liegen lassen und sehen, dass der Weg bis hierher wertvoll gewesen war. Das es okay war, auch wenn es nicht der Plan gewesen war.

Und da war Ian gewesen. Noch lange vor New York. Was so ein Heuballen alles hervorbringen konnte. Sie hatte ihn schon wieder vergessen gehabt. Doch warum musste sie jetzt weinen? Sie hatte ihn wirklich geliebt. Sie hatte gelacht, wenn sie nur an ihn dachte. Hatte auch seine Macken geliebt, hatte sich rein gegeben in diese Beziehung. So nackt war sie noch nie gewesen. Und dabei ging es nicht um Sex – es war ein inneres Aufmachen. Er hatte ihr Herz von innen sehen dürfen. Und er war doch gegangen. Sie weiß bis heute nicht warum. Und weiß auch immer noch nicht warum diese Tränen hier nun auf den Heuballen rollen. Vielleicht weil es zum ersten Mal okay war, es einfach sein zu lassen. Die Stufe zu sehen, den Plan loszulassen und es okay sein zu lassen. Und dennoch zu lächeln – weil der Weg doch so schön gewesen war.

3 Antworten auf „Vielleicht weil es zum ersten Mal okay war, es einfach sein zu lassen

  1. Liebe Sarah, ich sitzecgerade in einem tollen Kaffe auf Bali in einem wunderschönen Ort in den Bergen und habe eben deinen Artikel zu Ende gelesen.
    Ich freue michvso sehr über das was du schreibst!
    Gerade habe ich ein Trekking abgebrochen. Es war zu schnell zu heiß geworden, die Strecke war andpruchsvoller als ichvangenommen hatte…
    Und ich hatte einen inneren Dialog über die Bewertung, ich hätte mir „mal wieder“ zu viel Vorgenommen. Aber das ist nicht das Problem: der Plan/die Idee. Das Problem ist an etwas festzuhalten eigene Grenzen meilenweit zu überschreiten, um das Gefühle „wieder“ versagt zu haben zu vermeiden.
    Ich habe so viel “ richtig“ gemacht, Gatte eine so schöne Wanderung und war schlau genug abzubrechen und frühstücken zu gehen. Weil die Stufe zu hoch war um den Heuballen hoch zu bekommen:-)
    Wir können alle Ermunterung brauchen dafür, dass Pläne anpassen, kein Scheitern bedeuten muss.
    Danke für deinen Artikel !
    Tropische Grüße Tina Steinkopf

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